Was bedeuten eigentlich „vom Master geschnitten“ und „Half-Speed-Mastering“? – Zum Fall MFSL

Was bedeuten eigentlich „vom Master geschnitten“ und „Half-Speed-Mastering“? – Zum Fall MFSL

Es gibt ein Thema, das unter audiophilen Musiksammlern in den vergangenen Tagen hohe Wellen geschlagen hat. Auf YouTube und in Musikforen laufen hitzige Diskussionen, die sich im Kern darum drehen, dass Mobile Fidelity Sound Lab – anders als vermutet – seine Remasterings nicht nur von analogen Masterbänder gefertigt hat. Stattdessen haben die Toningenieure in den letzten Jahren bei vielen Titeln einen digitalen Zwischenschritt vorgenommen, ohne dies jedoch kenntlich zu machen.

Wer alte Aufnahmen neu gemastert auf Vinyl oder CD veröffentlichen will, trifft bekanntermaßen auf verschiedene Probleme. Eines davon ist, dass heute immer mehr Label dazu übergegangen sind, keine Masterbänder mehr zu verschicken – und schon gar nicht nach Übersee. Einige geben sie prinzipiell nicht an ein Studio, das nicht zum eigenen Firmenkonglomerat gehört oder seit vielen Jahren ein Subunternehmer mit sehr gutem Leumund ist. Wenn man, wie MFSL, ein Studio ist, dass großen Wert auf die eigene analoge Technik und das eigene Schnittsystem für Half-Speed-Mastering legt, dann bedeutet das, dass viele Titel schlichtweg unerreichbar werden. MFSL hat dafür eine Lösung: Wenn das Band nicht zum Studio kommen kann, dann kommt das Studio eben zu den Bändern. Mobile Fidelity Sound Lab wird in solchen Fällen mobil und bringt eine von Tim de Paravicini modifizierte Bandmaschine mit speziellen Tonköpfen und analogen Verstärkern zu dem Archiv, in dem sich das Band befindet. Sobald die Technik vor Ort ist, reist einer der MFSL-Toningenieure an. Er überprüft, ob er ein oder mehrere Masterbänder zur Verfügung hat und kalibriert die Tonbandmaschine. Allein dieser Vorgang kann mehrere Tage dauern, wenn aus ganz vielen Spulen Tonband die zusammengesucht werden müssen, die für ein nicht auffindbares oder beschädigtes Master die Grundlagen waren.

Des Pudels Kern ist nun, dass MFSL dieses Band dann nicht – entgegen der allgemeinen Annahme – analog kopiert, sondern mit 4xDSD digitalisiert. 4xDSD entspricht einer Samplingrate von 11,2 Mhz im 1-Bit-Verfahren und der Vorgang geschieht mit dem weltweit führenden Pyramix-System aus der Schweiz. Laut MFSL sind diese digitalen Transfers klanglich besser als eine Bandkopie.

Die Transfers werden anschließend in Sebastopol wieder an einem analogen Mischpult gemastert und dort vor Ort in Lack geschnitten. Die Ergebnisse dieses Prozesses gelten als hervorragend. So wurde dieser Ansatz zum Beispiel für die Dire-Straits-Alben (Masterbänder in London) und für den Miles-Davis-Katalog (Masterbänder müssen in Sonys Hand bleiben) angewendet.

Unstrittig ist in der nun losgetretenen Diskussion das klangliche Resultat, das bei den MFSL-Veröffentlichungen ohne Zweifel als herausragend bezeichnet werden kann. Anders verhält es sich mit der Frage, ob MFSL den Zwischenschritt nach außen hätte publizieren müssen. Für MFSL-Remasterings wurden in der Öffentlichkeit etablierte Begriffe wie „AAA“ für analoge Aufnahme, analoges Mastering und analoge Veröffentlichung genutzt. So erklärt sich auch die emotional geführte Auseinandersetzung: Käuferinnen und Käufer gingen davon aus, dass der Lackschnitt für MFSL-LPs und -One-Step-LPs immer direkt vom Masterband erfolgt. Das ist zwar möglich, aber eben nur in den Fällen, in denen das Masterband eine Reise nach Sebastopol antreten darf.

Im entscheidenden Video stellen sich die drei Tontechniker Shawn R. Britton, Krieg Wunderlich und Rob LoVerde den kritischen Fragen eines Plattenhändlers und YouTubers und legen ihren Arbeitsprozess offen. Sie tun dies etwas ungelenk, bemühen sich aber, die Arbeitsschritte und Abläufe auch für Laien verständlich zu machen. Zu erklären, weshalb man nicht offen kommuniziert hat, dass ein digitaler Schritt zwischengeschaltet wird, wäre jedoch die Aufgabe der Verantwortlichen aus dem Marketing oder der Firmenleitung gewesen. Die große Frage, ob das in den letzten Jahren anders hätte laufen müssen, können wir ganz klar bejahen.

MFSL hat nun vor, bei zukünftigen Veröffentlichungen die Arbeitsschritte auf dem Cover zu benennen. Auf der Website www.mofi.com soll außerdem für vergangene Titel der Prozess nachlesbar sein, angefangen bei jüngeren Veröffentlichungen.

Die mangelnde Transparenz MFSLs ist ohne Zweifel ein Ärgernis. Was aber bleibt, ist der Klang der MFSL-Remaster. Und ja: Auch die für November 2022 angekündigte Wiederauflage von Michael Jacksons „Thriller“ wurde mit dem 4xDSD-Zwischenschritt erstellt. Sie hört sich nach eigenen Angaben deutlich besser an als die Originalversion von Bernie Grundman, da die Toningenieure die heftige Kompression des Originals „einfach weggelassen“ haben.

Update vom 28.7.2022

Mittlerweile hat MFSL das vermisste Statement auf seiner Website veröffentlicht.

Update vom 11.8.2022

Interview mit Jim Davis, President of Mobile Fidelity Sound Lab, zum Masteringverfahren (in englischer Sprache):

Half-Speed oder Full-Speed?

Unser Blog-Eintrag vom 3.8.2022

Die Diskussionen der letzten Tage um die Veröffentlichungen von MFSL haben auch in unserem Haus für Unruhe gesorgt. Wir sind nicht nur überrascht, sondern auch verärgert über die Art und Weise, wie die neuen Fakten zum Remasteringprozess bekannt geworden sind. Dass diese nicht vom Label selbst publiziert wurden, sondern durch die Recherchen eines Plattenhändlers durchsickern mussten, lässt uns staunen.

Lassen Sie uns eins vorausschicken: Die LPs aus dem Hause Mobile Fidelity Sound Lab zählen aus unserer Perspektive zum klanglich Besten, was der Markt hergibt. Daran hat auch die aktuelle Debatte nichts geändert. Der betriebene Aufwand, um ein möglichst originalgetreues Remaster anzufertigen, ist enorm. Das hat nicht zuletzt das Interview mit Rob LoVerde, Shawn R. Britton und Krieg Wunderlich bestätigt.

Doch die neuen Einblicke in die Arbeitsprozesse haben weiteren Staub aufgewirbelt. Auf dem Prüfstand steht nun außerdem: das Half-Speed-Mastering. Als deutscher Vertrieb für MFSL haben wir Kontakt mit dem Label aufgenommen, um Licht ins Dunkel zu bringen.

Der große Erfolg von Mobile Fidelity Sound Lab basiert auf den LP-Veröffentlichungen ab 1977 bis in die 1980er Jahre. Damals fertigte der legendäre Toningenieur Stan Ricker die herausragenden Vinylschnitte, die bei MFSL erstmals als „Original Master Recordings“ erschienen. Besonders war daran, dass er für den Masteringprozess das sogenannte Half-Speed-Verfahren nutzte. Diese Technik kam zuvor zwar schon bei der Decca zum Einsatz, allerdings nur für kurze Zeit, nur für Klassiktitel und auch nur für eine kleine Auswahl an Titeln. Ricker griff den Ansatz auf, verbesserte ihn und brachte ihn für Wiederveröffentlichungen aus dem Rock- und Popkatalog zum Einsatz.

Als MFSL im Jahr 2001 nach vorangegangener Insolvenz den Betrieb wieder aufnahm, setzte auch der neue Eigentümer Jim Davis auf das Half-Speed-Mastering, bei dem die Musikinformation des Masterbands mit halber Geschwindigkeit vom Schneidestichel in die Lackfolie geschnitten wird. Der Vorteil dieses Verfahrens ist eine detaillierte und dennoch „runde“ Hochtonwiedergabe. Als Nachteil gilt gemeinhin ein etwas weniger präziser Bassbereich. Stan Ricker ließ jedoch nichts auf das System kommen, das damals mit einem Ortofon-Schneidekopf ausgestattet war.

Ganz anders sah das Tim de Paravicini, der hinter dem technischen Konzept der aktuellen Masteringkette in Sebastopol steckt und viel darin der verwendeten Elektronik selbst entwickelt hat. Er behauptete, der Vorteil des Half-Speed-Masterings läge vor allem darin, empfindliche Schneidestichel zu schonen und vor dem Hitzetod zu bewahren. Seine Haltung: Wenn man es nur richtig macht, dann ist Full-Speed genauso gut und der Tontechniker muss das Geleier der viel zu langsam spielenden Musik aus den Monitoren nicht ertragen.

Irgendwann konnte de Paravicini das MFSL-Team davon überzeugen, es mit einem Neumann-Schneidestichel und einem von ihm modifizierten Schneideverstärker zu probieren. Und wieder einmal sollte das Technikgenie recht behalten. Die Full-Speed-Lösung mit seinem Ansatz klingt nicht nur im Bass deutlich präziser, sondern ist auch im Hochtonbereich keinen Deut schlechter als die vorherige Half-Speed-Lösung.

Der Leiter des Masteringstudios, John K. Wood, bezeichnet dies als Bruch mit einem Dogma. Nie hätte er geglaubt, dass so etwas möglich wäre. Nach und nach begann dann der Hinweis auf das Half-Speed-Mastering auf MFSL-Titeln zu verschwinden. Leider auch hier, ohne die Fans, Musikmagazine, Vertriebe oder Händler darüber aktiv zu informieren. Aus diesem Grund hält sich bis heute die Annahme, MFSL-LPs seien im Half-Speed-Mastering produziert – bis vor Kurzem auch bei uns.

Sucht man nach Erklärungen für all das, trifft man auf die Information, dass die Marketingabteilung des Mutterunternehmens von MFSL, Music Direct, nicht in Sebastopol, sondern im weit entfernten Chicago sitzt. Dort bekommt man vom Studioalltag nichts mit und so versandete die Information der Techniker, die einfach ihren Job gemacht haben, auf den über 2.000 Meilen zwischen Mastering und Verwaltung.

So kommt es dann nicht zuletzt, dass auch uns als Vertrieb bei der Präsentation der MFSL-Titel Fehler unterlaufen sind. Dafür möchten wir uns entschuldigen. Hätten wir es besser machen können? Sie dürfen annehmen, dass wir uns diese Frage intensiv stellen. Aber mindert die falsche Kommunikation auch die Qualität der Veröffentlichungen? Die Antwort darauf ist sicher individuell. Für uns bleibt es dabei: Unter den Reissues von MFSL sind einige, die zu den wichtigsten Titeln unserer Plattensammlung gehören. Ihre klanglichen Vorzüge gegenüber vielen anderen Veröffentlichungen haben uns überzeugt. Wir glauben weiterhin daran, dass die Toningenieure des Labels keinen Aufwand und keine Mühe scheuen, um ein optimales Ergebnis zu erhalten. Und wir setzen darauf, dass man in den USA jetzt auch verstanden hat, dass Transparenz über den Herstellungsprozess wirklich wichtig ist.

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